Chris Vielhaus



Die Pflegerevolution kommt zu dir nach Hause

13. Dezember 2017


Sie kommt aus den Niederlanden und heißt »Buurtzorg«. Ihre Mission: Menschen besser pflegen als Akten – und dabei Kosten sparen.

Jeder, der schon einmal in einem Altenheim zu Besuch war, hat wohl ähnliche Erfahrungen gemacht: die eigentümliche Mischung aus abgestandener Luft und Desinfektionsmittel, die immer gleichen, anonymen Gänge und das irgendwie befreiende Gefühl, wenn man wieder heimgehen kann. Dabei verdrängen wir allzu leicht, dass die meisten von uns eines Tages vom Besucher zum Bewohner werden könnten. Möchtest du deinen Lebensabend an so einem Ort verbringen?

 

Oder ziehst du deine eigenen 4 Wände vor?

80% der Menschen wollen zu Hause alt werden.

80% der Menschen wünschen sich laut einer aktuellen Befragung genau das: möglichst lange zu Hause zu bleiben.

Aber ist in Zeiten des »Pflegenotstands« überhaupt Platz für Wünsche, wenn Pflegekräfte – frustriert von Bürokratie und Zeitdruck – schon längst zur Mangelware geworden sind?

 

Ein Konzept mit dem Namen »Buurtzorg« stellt in den Niederlanden bereits seit über 10 Jahren unter Beweis, dass es anders geht. Statt Papierkrieg, Stress und Kostendruck setzt man bei unseren Nachbarn auf Vertrauen, Menschlichkeit und Kooperation. Kann das auch bei uns gelingen?

 

 

 

Buurtzorg – besser, günstiger, einfacher

Die Revolution der Altenpflege nahm 2006 in Enschede ihren Anfang: Jos de Blok, Gründer von Buurtzorg und selbst Pfleger, begann mit einem Team von 4 Mitarbeitern, Menschen in ihrem Zuhause zu versorgen.

 

 

 

Das Besondere daran: Das Buurtzorg-Team bot nur eine einzige Leistung an – Pflege.

Nicht im Angebot waren hingegen technisch klingende Module wie »Teilwaschen« (Leistungskomplex 2 – 1), »Überwachung von Ausscheidungen« (Leistungskomplex 3 – 4) oder »Körper- und situationsgerechtes Lagern / Betten« (Leistungskomplex 7 – 3).

 

 

Der Buurtzorg-Gründer Jos de Blok ist international unterwegs, um sein Konzept vorzustellen. – Quelle: flickr /Meaning Conference / Clive Andrews CC BY-SA

 

So setzte Jos de Blok ein Ausrufezeichen gegen dieses durchbürokratisierte Pflegesystem, in dem die Versorgung alter und kranker Menschen zu einem Produkt geworden und der Patient nichts weiter als ein Leistungsempfänger war.

 

Buurtzorg ist radikal anders: Es ist kein Unternehmen, sondern eine Non-Profit-Organisation, frei von Effizienzregeln irgendwelcher Managementberater. Und damit auch frei von Managern, Dienstleitern und Zeitvorgaben.

 

Buurtzorg hat die Pflege in den Niederlanden revolutioniert – ganz ohne Manager und Zeitvorgaben.

Die Teams aus maximal 12 Pflegeprofis organisieren fast alles selbstständig. Sie teilen das Personal ein und planen ihre täglichen Touren. Unter dem Motto »Menschlichkeit statt Bürokratie« hat Buurtzorg so den gesamten Pflegebereich in den Niederlanden revolutioniert: In den letzten 10 Jahren haben sich 800 Teams mit über 10.000 Pflegekräften neu gegründet und versorgen inzwischen über 70.000 Patienten. Beide Seiten – Pflegekräfte und Patienten – sind hochzufrieden mit diesem System.

 

Spätestens jetzt mag man sich fragen, was das alles gekostet haben muss.

 

Die Antwort: weniger als das alte System. Zwar steigen die Kosten pro Stunde leicht an, die Gesamtzahl der benötigten Pflegestunden sinkt jedoch um bis zu 50%.

 

Um das Pflegeimperium zu verwalten, braucht Buurtzorg zudem keinen prunkvollen Hauptsitz mit schicker Glasfassade. Man begnügt sich mit einem unscheinbaren Gebäude in einem Gewerbepark bei Amsterdam und gerade einmal 45 Verwaltungsmitarbeitern.

 

 

Kritik am Modell übt vor allem die Pflegekonkurrenz: Buurtzorg-Patienten seien bei unvorhergesehenen Ereignissen dann doch auf die Hilfe klassischer Pflegedienste angewiesen – und würden sogar häufiger in der Notaufnahme landen. Zudem würden sich die Teams nur besonders lukrative Patienten herauspicken. Für diese Anschuldigungen konnten in einer Fallstudie jedoch keine Belege gefunden werden.

 

 

Internationales Interesse ließ nicht lange auf sich warten. Inzwischen wird Buurtzorg in 24 Ländern erprobt, darunter Großbritannien, Schweden, Japan, China und den USA.

Mit dem sich seit Jahren verschärfenden Pflegenotstand im Nacken ist auch das deutsche System reif für die Revolution.

 

 

Altenpflege in Deutschland – Kontrollzwang statt Vertrauen

 

Udo Janning koordiniert das erste Buurtzorg-Pilotprojekt für Sander Pflege und den Impulse Pflegedienst aus Emsdetten. – Quelle: Sander Pflege copyright

   

 

Udo Janning      Gunnar Sander
 

Von den Zuständen in den Niederlanden können Altenpfleger in Deutschland zurzeit nur träumen.

 

Die Krankenkassen und Ärzte geben den Pflegekräften bei uns genau vor, was sie tun dürfen: Essen zubereiten, waschen, Thrombosestrümpfe anziehen – alles in kleinteilige Leistungskomplexe zerlegt, für die jeweils eine genaue Zeitvorgabe und ein exakter Preis festgelegt sind. Die Pflegefachkräfte dürfen daher nur genau das machen, was verordnet wurde.

So ist es nicht verwunderlich, dass sie stets unter Druck stehen. Brauchen sie länger als vorgegeben, wird das dem Pflegedienst nicht bezahlt und es droht Ärger mit dem Pflegedienstleiter: Die Zeiten müssen eingehalten werden, Mehrarbeit wird von der Kasse nicht bezahlt.

Udo Janning kennt die Probleme des Systems. In seinen 26 Jahren Berufserfahrung hat er beide Perspektiven kennengelernt – er war sowohl als Altenpfleger als auch als Pflegedienstleiter tätig.

 

Heute ist er bei einem ambulanten Pflegedienst für die Koordination des ersten Buurtzorg-Pilotprojekts im münsterländischen Emsdetten zuständig.

 

»Wenn der Patient fragt: ›Kannst du mir mal bei etwas helfen?‹, dann muss die Kasse das erst genehmigen, der Arzt muss es verschreiben und ich darf nichts machen. Ich sitze immer zwischen den Stühlen.«

 

Das Resultat ist wenig verwunderlich: Pflegekräfte arbeiten laut dem Deutschen Pflegerat schätzungsweise nur 10 Jahre in ihrem Beruf, selbst die größten Idealisten scheiden früh wieder aus oder arbeiten nur noch in Teilzeit. Bereits jetzt fehlen 40.000 Fachkräfte, bis 2030 könnte sich die Lücke auf 200.000 ausweiten.

Die Zeit drängt also.

 

Zeit, dass die Pfleger wieder pflegen dürfen

Johannes Technau, Geschäftsführer des Netzwerks Gesundheitswirtschaft Münsterland, hat das erkannt.

 

 

 

Er koordiniert die ersten Pilotprojekte mit den 2 Pflegeanbietern Sander Pflege und dem Impulse Pflegedienst aus Emsdetten. Diese sind finanziell in Vorleistung gegangen, um das Projekt zu ermöglichen.

 

Johannes Technau sieht in Buurtzorg den richtigen Ansatz, um dem Frust in der Pflege etwas entgegenzusetzen:

Mit den autarken Teams können wir den Pflegekräften wieder die Möglichkeit geben, selbstbestimmt zu arbeiten. Sie können ihre Einsätze selber planen und ihre Arbeitsbelastung steuern.

 

Wir hoffen, dass der Beruf so wieder attraktiver wird, dass die Fachkräfte motivierter sind und sie sich in jeder Hinsicht wieder auf ihre eigentliche Profession konzentrieren können. – Johannes Technau, Geschäftsführer Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland

 

Johannes Technau begleitet die Erprobung von Buurtzorg im Münsterland. – Quelle: Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland copyright

 

 

Kurz gesagt: Der Beruf des Pflegers wird aufgewertet und mit wesentlich mehr Vertrauen ausgestattet.

 

In den selbstorgansierten Teams entscheiden sie vor Ort in enger Zusammenarbeit mit den Gepflegten und deren Bezugspersonen, was getan werden muss.

 

Dabei stellen Pfleger erst einmal fest, was der Patient noch selbst erledigen kann. Und ermutigen ihn dazu, genau das auch weiterhin zu tun – etwa sich selbst zu waschen.

Im aktuellen System ist das nicht vorgesehen. Die Pfleger sind aufgrund des permanenten Zeitdrucks zur Hektik gezwungen: Es bleibt kaum Zeit, um die Patienten bei der Körperpflege zu begleiten, denn der nächste Termin wartet schon. So lernen die Patienten, dass sie sich nicht selbst kümmern sollen – es kommt ja schließlich jemand, der die morgendliche Körperpflege für sie übernimmt.

»Die Pfleger reagieren nur auf Anweisungen und haben das eigene Denken verlernt.« – eine Pflegefachkraft

 

Bei Buurtzorg können die Teams aktivierend pflegen, was nichts anderes heißt, als länger dazubleiben, dem Patienten den Waschlappen in die Hand zu drücken und zu sagen: »Wasch dich selbst, wenn du nicht mehr weiterkommst, helfe ich dir.« Das funktioniert, weil sie diese Zeit auch bezahlt bekommen – nur eben pro Stunde, nicht pro Einzelleistung.

 

Allein dieser Aspekt macht für die Pfleger sehr viel aus. Da ist sich Udo Janning sicher: »Wir müssen zeigen, wie entspannt die Pfleger sind, wenn sie nicht mehr 24 Patienten pro Tour haben, sondern nur noch 6 – für die sie dann auch noch Zeit haben.«

 

Den Alten etwas zutrauen – eine lohnende Investition

Auch wenn das am Anfang mehr Zeit – und somit Geld – kostet, zahlt sich die Investition auf lange Sicht aus.

 

Eine Untersuchung aus Großbritannien zeigt, dass die Patienten durch diese Herangehensweise in vielen Fällen ihre Selbstständigkeit zurückerlangen, seltener in die Notaufnahme müssen und bei geplanten Krankenhausaufenthalten viel früher wieder nach Hause können.

 

Zudem brauchen Buurtzorg-Teams durchschnittlich 40% weniger Zeit, um die verordneten Tätigkeiten zu erledigen.

In der Praxis sehen solche Einsparungen dann so aus:

Ich muss den Patienten nicht mehr jeden Tag duschen, weil wir festgestellt haben, dass er das noch gut alleine hinkriegt, wenn er nur eine Dusche mit niedrigem Einstieg bekommt. […] Letztendlich ist das große Ziel dabei, […] zu Hause bleiben zu können. In einer guten Umgebung sind die Menschen ohnehin fitter als im Heim. – Udo Janning, Koordinator Buurtzorg bei Sander Pflege

 

 

Pflege sollte Menschen ein möglichst selbstbestimmtes, schmerzfreies Leben ermöglichen. Daher orientiert sich Buurtzorg an grundsätzlichen menschlichen Bedürfnissen:

  • Menschen wollen so lange wie möglich selbstständig leben und handeln

  • Menschen wollen ihre Lebensqualität aufrechterhalten oder steigern

  • Menschen brauchen soziale Interaktion und Nähe

Nehmen wir diese Bedürfnisse ernst, ist klar, dass Gepflegte keine »Konsumenten« sein können, die Pflege von einem »Dienstleister« »einkaufen« müssen. Diese ökonomische Denkweise ist die Wurzel des Pflegenotstands in Deutschland.

 

 

Mit Buurtzorg soll in der Pflege wieder mehr Zeit für Zwischenmenschliches sein. – Quelle: flickr public domain

 

 

Nachbarschaftshilfe hat viele Gesichter

Auch pflegebedürftige alte Menschen sind Individuen mit einem sozialen Umfeld. Ohne dieses Umfeld wäre der gesamte Pflegebereich schon längst kollabiert, denn der Löwenanteil der häuslichen Pflege wird in Deutschland in fast 1,4 Millionen Fällen von Angehörigen gestemmt.

In der Theorie könnten ihnen weitere Unterstützer zur Seite stehen: Freunde, Nachbarn und je nach Region und Religion vielleicht sogar noch die Kirchengemeinde inklusive Dorfpfarrer. Ein enormes Potenzial – wenn es denn genutzt würde. Man braucht dazu lediglich jemanden, der die Kräfte koordiniert.

 

Die Buurtzorg-Teams fungieren hier als Manager und bauen gezielt ein Netzwerk aus allen Beteiligten auf.

 

Dem Pflegedienst ist aufgefallen: Wir kommen jeden Tag, um Strümpfe anzuziehen, Medikamente zu stellen und Essen anzureichen, während die Tochter im Haus wohnt oder der Ehepartner dabeisitzt. Dann stellt sich die Frage: »Können sie das nicht übernehmen? – Johannes Technau, Geschäftsführer Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland

 

Doch keine Angst: Niemand wird gezwungen, künftig die Oma von nebenan zu waschen. Es geht vielmehr um die effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen, um Zeit für Patienten zu schaffen, die gar keine Unterstützung durch Pflegedienste bekommen können – und das ist aktuell nicht nur im Pilotprojektgebiet im Münsterland der Fall.

 

Warum kann die befreundete Nachbarin beim täglichen Einkauf nicht einfach etwas mitbringen? Oder die Tochter, die in derselben Straße wohnt, einmal die Woche die Medikamentendose vorbereiten?

 

Das soll keinesfalls heißen, dass die Pflegedienste die Arbeit auf die Angehörigen abwälzen wollen. Es gibt kein Muss. Wenn jemand mit der Situation überfordert ist oder nichts damit zu tun haben will, dann übernimmt das Buurtzorg-Team. Das kommt aber gar nicht so häufig vor:

Wir haben einfach mal mit den Angehörigen gesprochen, die im gleichen Haus wohnen. Das hat vorher niemand gemacht. Da kam dann raus, dass sie am Wochenende ohnehin zu Hause wären und gerne etwas tun wollten. Nur unter der Woche waren sie auf Hilfe angewiesen. Seitdem müssen wir sonntags um 6 nicht mehr hin und das ganze Haus aufwecken. – Udo Janning, Koordinator Buurtzorg bei Sander Pflege

 

 

Kann das auch bei uns funktionieren?

Angesichts der demografischen Entwicklung ist klar, dass zwangsläufig mehr und mehr Gelder in den Pflegebereich fließen müssen. So fordert das unabhängige Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung für die kommenden Jahre einen 3-schrittigen Masterplan, um die Löhne zu erhöhen und 100.000 neue Pflegestellen zu schaffen. Kosten: 12 Milliarden Euro pro Jahr.

Allein 500 Millionen Euro sollen für die Erforschung neuer Versorgungskonzepte und innovativer Technologien bereitgestellt werden.

 

Mit Buurtzorg ist bereits ein über Jahre erprobtes Konzept zur Hand.

 

Aktuell sind zunächst die Kranken- und Pflegekassen am Zug: Sie müssen mit den laufenden Pilotprojekten im Münsterland klären, wie die Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, damit die Kostenabrechnung pro Stunde funktionieren kann.

 

 

Links zum Artikel

  • DAK-Pflegereport (2016)

  • Pflegenotstand in Deutschland – Überlastet, ausgebrannt und weg – Tagesschau (2017)

  • Zur Bürokratie in der Altenpflege in Deutschland – Zeit Online (2014)

  • ProCare – »Buurtzorg Nederland« – Ein innovatives Modell der Langzeitpflege revolutioniert die Hauskrankenpflege (2015)

  • Buurtzorg – Umbruch im Nachbarland – Zeitschrift für Allgemeinmedizin (englisch, 2016)

  • The Commonwealth Fund – Case Study: The Netherlands’ Buurtzorg Model (englisch, 2015)

  • The Guardian – Buurtzorg: the Dutch model of neighbourhood care that is going global (englisch, 2017)

  • Deutschlandfunk – Pflegenotstand: Zehntausende haben den Beruf verlassen (2017)

  • Tagesschau – Pflegenotstand in Deutschland (2017)

  • Website des Netzwerks Gesundheitswirtschaft Münsterland

  • Bericht des britischen Gesundheitsdienstes NHS (englisch, 2017)

  • ProCare – »Buurtzorg Nederland« – Ein innovatives Modell der Langzeitpflege revolutioniert die Hauskrankenpflege (2015)

  • Das Buurtzorg-Modell – Buurtzorg International (englisch, 2017)

  • Medizin-Aspekte – Jamaika-Koalition soll Dauerkrise in der Pflege beenden (2017)

 

Buurtzorg Nederland - Ein innovatives Modell der Langzeitpflege revolutioniert die Hauskrankenpflege (PDF Download Available). Available from: https://www.researchgate.net/publication/283573828_Buurtzorg_Nederland_-_Ein_innovatives_Modell_der_Langzeitpflege_revolutioniert_die_Hauskrankenpflege [accessed Dec 15 2017]..

 

 

Buurtzorg Nederland - Ein innovatives Modell der Langzeitpflege revolutioniert die Hauskrankenpflege

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Das Modell: Autonome Teamarbeit

 

Das Buurtzorg-Modell wurde 2006 als Projekt im Kontext des strikt geregelten niederländischen Quasi-Markts der mobilen  Pflege und Betreuung eingeführt, wo es sich seither im Konkurrenzkampf um KundInnen und Verträge gegenüber den herkömmlichen Anbieterorganisationen behauptet hat – besser noch: die traditionellen Anbieter sind zunehmend gezwungen, das Buurtzorg-Modell zu übernehmen, um überhaupt noch neues Personal rekrutieren zu können.

 

Organisatorisch zeichnet sich das Modell durch die wohnortnahe Versorgung mittels kleiner, autonom organisierter Teams von höchstens 12 community nurses (mindestens 3-jährige Bachelor-Ausbildung) und AssistentInnen (2-jährige Ausbildung) aus.

Dabei werden die Overhead-Kosten so niedrig wie möglich gehalten, u.a. durch eine extrem flache Organisationsform und mittels IT-Anwendungen in der Planung, Dokumentation und Datensammlung.

 Die zentrale Verwaltung ist für administrative Tätigkeiten und Coaching der Teams zuständig.

 

 Ansonsten ist die Autonomie der Teams  weitreichend, da es keine hierarchischen Zwischenebenen gibt.

 

Beispielsweise können die Teams selbst über ihre Fortbildungsaktivitäten entscheiden, wenn z.B. festgestellt wird, dass zunehmend mehr KlientInnen Palliativpflege brauchen oder Teammitglieder meinen, dass sie im Umgang mit KlientInnen mit Demenz noch Weiterbildungsbedarf haben.

Im Pflegeprozess werden Kommunikation und die integrierte Zusammenarbeit mit anderen lokalen, professionell und informell Pflegenden und Betreuenden in den Vordergrund gestellt.

 

Weiterhin baut das Modell auf die Aktivierung von Selbst-flege, d.h. die Mobilisierung und Nutzung der Ressourcen der NutzerInnen.

 

 

 

Wenn ein Team genügend KlientInnen hat – in der Regel sind dies etwa 50-60 pro Team – wird im nächsten Quartier ein neues Team gebildet.

 

Auf diese Weise hat Buurtzorg einen bahnbrechenden Wachstumsprozess entfacht:

Von 2006 bis 2015 ist die Non-Profit-Organisation von einem auf inzwischen über 700 Buurtzorg-Teams mit über 8.000 MitarbeiterInnen und rund 65.000 KlientInnen gewachsen.

Dabei ist die Zentralverwaltung nur unwesentlich gewachsen und mit rund 50 MitarbeiterInnen ein Modellbeispiel für schlanke Verwaltung und die Vermeidung von Overhead-Kosten.

 

 

 

 

Das Pflegekonzept

 

 Das Modell orientiert sich an den individuellen Bedarfslagen der NutzerInnen und sucht gemeinsam mit diesen und deren informellen sowie professionellen Bezugspersonen nach Lösungen.

 Die community nurses helfen den NutzerInnen, ihr Leben mit Hilfe lokaler Ressourcen so weit wie möglich selbstständig zu gestalten.

 

 

Buurtzorg geht dabei von allgemeinen Mängeln der Langzeitpflege, wie sie üblicherweise organisiert ist, auf drei Ebenen aus:

 • Die individuellen Bedarfslagen der KlientInnen werden in der klassischen ambulanten Versorgung nicht ausreichend wahrgenommen (unterschiedliche MitarbeiterInnen, wenig geschultes Personal, forcierte Arbeitsteilung ...).

 • Zwischen den eigentlichen Kompetenzen der professionellen Pflegekräfte und der realen Organisation von Pflegeleistungen klafft eine weite Lücke (Fehlen von Ganzheitlichkeit).

 • Bei der Versorgung durch mobile Dienste und der Versorgung durch andere Organisationen im Gesundheits- und Sozialbereich und deren MitarbeiterInnen fehlt es an Kommunikation und Zusammenarbeit.

 

Um diesen Mängeln zu begegnen, baut Buurtzorg zunächst auf einer ganzheitlichen Erhebung der individuellen Bedarfslagen auf – von medizinischen und rehabilitativen über pflegerische bis zu persönlichen und sozialen Aspekten.

 

Abgesehen von der Pflege selbst, bietet der individuelle Betreuungsplan Informationen zur Unterstützung der sozialen Rolle der betreuten Personen und zur Förderung ihrer Selbst-Pflege zur Erweiterung der Selbstständigkeit.

 

Darüber hinaus ermöglicht die Organisation autonomer Teams eine bessere Nutzung der Team-Kompetenzen und die Übernahme von Verantwortung für breiter gefächerte Pflegeaufgaben.

 

Schließlich werden auch die informellen Ressourcen sowie eventuell notwendige weitere professionelle Interventionen, z.B. durch Geriater, Physio- oder Ergo-Therapeutinnen, identifiziert und in die Betreuungsplanung integriert.

 

Das Pflegekonzept wurde von einigen erfahrenen community nurses entwickelt und basiert auf einer Reihe untrennbar miteinander verbundenen Komponenten, die u.a. folgende Aspekte umfassen :

• Ganzheitliches Assessment der individuellen Bedarfslage als Basis für einen entsprechenden Pflegeplan;

• Identifizierung, Einbeziehung und Vernetzung aller formellen und informellen Pflegepersonen;

• Erbringung von Pflege und Betreuung;

• Unterstützung des Klienten bzw. der Klientin in seinen/ihren sozialen Rollen; 

• Förderung der Selbstpflege und Selbstständigkeit.

 

 

Die Wirkungen

 

Abgesehen von der anfänglichen Subvention des Pilotprojekts werden die Kosten des Modells heute vollständig aus den üblichen Finanzquellen der Pflegeversicherung (AWBZ) gedeckt, die auch den herkömmlichen Anbietern mobiler Pflege in den Niederlanden zur Verfügung stehen.

 

Der auf Konkurrenz und Wahlfreiheit der NutzerInnen basierende „Pflegemarkt“ machte auch Buurtzorg den Zugang zu diesem Markt möglich.

 

Die Organisation floriert dank des hohen Engagements ihrer MitarbeiterInnen und kann auf Basis von Daten und Fakten nachweisen, dass in vielen Fällen mit weniger Kosten (Betreuungsstunden) bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn gut ausgebildetes Pflegepersonal in die Lage versetzt wird, ganzheitliche Betreuung zu erbringen.

 

Seit Beginn ist die Arbeit von Buurtzorg durch eine Reihe von Evaluationsstudien sowie durch internes Qualitätsmanagement nach dem sogenannten Omaha-System

(http://www.omahasystem.org) begleitet worden.

 

Zudem ist Buurtzorg aufgrund der niederländischen Qualitätssicherung in der Langzeitpflege dazu verpflichtet, regelmäßige Kundenbefragungen durchzuführen (van der Veen et al., 2010).

 

 

Zu den nachweislich positiven Wirkungen von Buurtzorg zählen folgende Aspekte:

• Buurtzorg liegt laut Ergebnissen der obligatorischen nationalen Qualitätserhebung, bei der auch die Zufriedenheit der NutzerInnen gemessen wird, an der Spitze aller mobilen Versorgungsanbieter.

• Auch seitens der niedergelassenen ÄrztInnen und der Gemeinden wird der Kooperation mit den Buurtzorg-Teams hohe Zufriedenheit bescheinigt, wie eine qualitative Untersuchung belegt (de Veer et al., 2008).

• Der signifikante Kostenrückgang ist nach den Berechnungen im Rahmen einer Studie über Buurtzorg als Business Case darauf zurückzuführen, dass die Organisation im Schnittdurchschnittlich 40% weniger Zeit braucht, um den von den Assessment-Zentren in Stunden festgestellten Pflegebedarf zu befriedigen.

Gegenüber anderen Anbietern ist auch die durchschnittliche Dauer der Inanspruchnahme von Diensten bei Buurtzorg kürzer, weil deren KlientInnen in vielen Fällen ihre Selbstständigkeit wiedererlangten, weniger Notaufnahmen zuverzeichnen hatten und bei geplanten Krankenhausaufenthalten insgesamt kürzere Aufenthaltszeiten aufwiesen.

Die Overheadkosten waren mit 8% weit niedriger als bei anderen Anbietern, bei denen sie sich auf bis zu 25% beliefen, was u.a. auch an niedrigeren Werten bei Krankenständen und Personalfluktuation lag (Maatschappelijke Business Case Buurtzorg, 2009).

 

• Buurtzorg gewann seit 2011 mehrere nationale und internationale Auszeichnungen, u.a. als niederländischer Arbeitgeber des Jahres 2011 und 2013.

• Ein weiterer Erfolgsindikator des Modells besteht in der Übernahme der Prinzipien von Buurtzorg durch die traditionellen Anbieter der Hauskrankenpflege in den Niederlanden. Auch in anderen Ländern wie z.B. Japan, Schweden, Norwegen, England und den USA wurden erste Schritte unternommen, um die Möglichkeiten der Übertragung und Anpassung des Modells im jeweiligen nationalen Kontext zu prüfen.

 

Zuletzt hatten einige Anbieter die Einsparungen von Buurtzorg in der öffentlichen Diskussion darauf zurückgeführt, dass die Organisation vornehmlich „profitablere“, d.h. weniger pflegebedürftige KlientInnen aufnehmen würde. Eine vom Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport in Auftrag gegebene Studie wies nach, dass die Leistungsfähigkeit von Buurtzorg nicht auf einer besonderen Klientenstruktur beruht.

 

Mit durchschnittlich €6.428 für 108 Einsatzstunden pro Jahr pro KlientIn liegen die Gesamtkosten bei einem standardisierten case-mix niedriger als bei anderen Anbietern, bei denen durchschnittlich 168 Stunden pro KlientIn mit Kosten von €7.995 verbunden sind.

 

Überdies machte die Studie deutlich, dass die individuellen (Folge-)Kosten für medizinische Versorgung bei Buurtzorg-KlientInnen höher sind als bei anderen Anbietern (KPMG, 2015).

Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass KrankenpflegerInnen eher geneigt sind, medizinische Probleme wahrzunehmen, die ärztlicher Betreuung bedürfen (Commonwealth Fund, 2015).

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss bedacht werden, dass viele Anbieter inzwischen einige Prinzipien von Buurtzorg übernommen haben.

Dennoch könnte man argwöhnen, dass Buurtzorg seinen KlientInnen einen hohen Anteil an (durch die unabhängigen CIZ) rechtmäßig zugeteilten Betreuungsstunden vorenthält. Dagegen spricht wiederum die hohe Zufriedenheit der KlientInnen.

 

Dass durch besser ausgebildete und besser bezahlte community nurses sehr spezifisch auf die Ermöglichung von Pflege zuhause eingegangen werden kann, zeigt ein weiteres Ergebnis der Studie:

die Folgekosten für Aufenthalte in Pflegeheimen bei Buurtzorg-KlientInnen sind im Vergleich zu anderen Anbietern deutlich niedriger.

Insgesamt stellt auch diese Studie fest, dass im Buurtzorg-Modell zufriedene, autonom organi-sierte Teams spezialisierter community nurses effiziente und qualitativ hochwertige Pflege zu einem im niederländischen Kontext angemessenen Preis erbringen (KPMG, 2015).



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http://www.buurtzorgnederland.com/
 
 http://interlinks.euro.centre.org

https://www.youtube.com/watch?v=jzCGvfUozf8