by Handelsblatt

30. Juni 2017

Diese Gründer wollen mit deinem Sex die Welt verbessern

Start-Up

milena

ALTERNATIV-Info-Artikel:


http://www.business-punk.com/2017/11/einhorn-kondome-consulting/ 

Einhorn-Gründer Waldemar Zeiler (l.) und Philip Siefer: „Unfuck the Economy.“ (Foto: PR)

 
 
 

Das Berliner Start-up Einhorn hat ein altbekanntes Produkt neu erfunden: das Kondom. Als nächstes wollen sie das ganze Wirtschaftssystem umkrempeln – und fangen im eigenen Unternehmen an. Ihre Mitarbeiter dürfen selbst über Gehalt und Urlaub bestimmen.

Es gibt nicht viele Start-ups, die einen ähnlichen Hype auslösen wie Einhorn. Als die Gründer Philip Siefer (34) und Waldemar Zeiler (35) zu einem Vortrag beim Internet-Telefonie-Anbieter Sipgate in Düsseldorf eintreffen, ist der Raum schon brechend voll. Alle Sitzplätze sind belegt, die Menschen stehen bis in den Innenhof, um den Berlinern zuzuhören.

Philip kommt mit Snapchat-Spectacles auf die Bühne, die Menge klatscht. „Wow, das beste Publikum der Welt“, ruft er und filmt die Szene mit seiner Brille für Snapchat. Dann erzählen die beiden vollbärtigen Gründer ihre Geschicht

Langeweile und Sex? Das passt nicht zusammen

Die meisten kennen Einhorn aus der Gründershow „Die Höhle der Löwen“, wo Philip und Waldemar 2015 nach potenten Investoren für ihre außergewöhnlichen Kondome suchten. Die Geschäftsidee kam Philip, als er mit seiner Freundin Kondome kaufen war und sich darüber wunderte, dass die meisten Kondome wie Medizinprodukte in langweiligen Verpackungen stecken.

Langeweile und Sex – das passt nicht zusammen, dachte sich Philip. Außerdem fiel ihm auf, dass es vielen Kunden peinlich ist, Kondome zu kaufen. „Deshalb packen sie an der Kasse noch eine Kleinigkeit dazu, zum Beispiel eine Tüte Chips, unter der sie die Kondome verstecken.“Gemeinsam mit seinem Kumpel Waldemar entwarf Philip deshalb Kondome mit ungewöhnlichem Design. Die Verpackungen sehen unter anderem aus wie Chipstüten – mit Einhorn drauf. Der Firmenname Einhorn ist bewusst zweideutig gemeint: Er passt natürlich einerseits zum Produkt selbst, andererseits werden Start-ups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar „Unicorns“ genannt, auf Deutsch: Einhörner. Denn diese Tiere sind – der Legende nach – extrem selten, bunt schillernd und fantasievoll.

Fantasie haben die beiden Gründer definitiv. Um ihr Produkt bekannter zu machen, veranstalteten sie zum Beispiel eine Demo für den Orgasmus der Frau auf dem Pariser Platz in Berlin. Waldemar warf sich in ein weiß-rosa Einhornkostüm und Philip hielt eine flammende Rede für das Recht auf multiple Orgasmen.

Bis zu 21 Orgasmen pro Packung Einhorn-Kondome?

Der Hintergrund: Ein Mitbewerber hatte Einhorn verklagt, weil sie Kunden „bis zu 21 Orgasmen“ für eine Packung mit sieben Kondomen versprochen haben. Das Landgericht Düsseldorf hat den Werbespruch sogar verboten, weil er zum Mehrfachgebrauch der Kondome verleiten könnte.

 

Die riesige Medienaufmerksamkeit machte die Einhörner schlagartig bekannt. Seit Dezember 2016 sind die Einhorn-Kondome auch bei der Drogeriekette dm erhältlich. Das Start-up machte im letzten Jahr einen Umsatz von „bisschen über ne Million“, sagt Philip.

dm-Geschäftsführer Sebastian Bayer zeigt sich zufrieden mit den Einhörnern: „Die Artikel werden sowohl in unserem Onlineshop als auch in unseren Märkten sehr gut angenommen“, schreibt er auf Anfrage, ohne konkret zu werden. „Unsere Erwartungen an die Verkaufszahlen haben sich erfüllt.“ Das Start-up habe dm wegen ihrer „innovativen Produkte“ überzeugt.

50 Prozent der Gewinne sollen in sexuelle Aufklärung investiert werden

Aber das ist den Einhörnern nicht genug: „Wir wollen das nächste Procter & Gamble werden“, sagt Philip. Nur zur Info: Der amerikanische Konsumgüter-Konzern (Ariel, Pampers) ist an der Börse fast 200 Milliarden Dollar wert. Das Unternehmen wirbt damit, alle Produkte fair und nachhaltig zu produzieren – was auch immer das heißen mag. Einhorn macht’s konkreter: Auf den Kautschuk-Plantagen in Malaysia werden zum Beispiel keine Agrarchemikalien mehr eingesetzt.

Außerdem steckt Einhorn nach eigenen Angaben 50 Prozent der Gewinne in Projekte zu sexueller Aufklärung oder der Aufforstung von Kautschukplantagen. „Unser Ziel heißt: Unfuck the Economy“, sagt Philip. Spritzige Sprüche klopfen kann er, die Übersetzung ersparen wir uns jetzt mal.

Wie werden eigentlich Kondome hergestellt?

 

Ein Akt des fairen Wirtschaftsverkehrs sieht für Einhorn so aus: Die 18 Mitarbeiter dürfen seit etwa einem Jahr selbst über ihr Gehalt und ihre Urlaubstage bestimmen. Gründer Philip gibt zu, dass die neuen Freiheiten erst mal für Chaos gesorgt haben.

Im Video: Einhorn-Gründer Philip Siefer erklärt, wie das Experiment mit dem transparenten Gehalt und dem selbstbestimmten Urlaub läuft.

Vielen sei es zunächst schwer gefallen, überhaupt offen über das Thema zu sprechen. Als alle ihre Gehälter offengelegt haben, hatten manche Kollegen plötzlich ein komisches Gefühl, als sie sahen, dass andere mehr verdienen. Denn mehr Geld verbinden viele mit mehr Wertschätzung.

Das Gehalt sollen die Mitarbeiter selbst ausdiskutieren. Und was verdient der Einhorn-Gründer?

Alle sechs Monate setzen sich die Einhorn-Mitarbeiter zusammen und jeder schreibt sein Gehalt offen auf. So herrscht völlige Transparenz: Jeder weiß, wie viel die anderen bekommen und kann einschätzen, wo er selbst steht. Und dann diskutiert das Team über mögliche Gehaltserhöhungen. Philip verrät auch sein eigenes Gehalt: 3.000 Euro netto.

Die Urlaubsregelung funktioniere dagegen gut: Jeder könne sich so viel und so oft frei nehmen, wie er will. Wer keine Lust aufs Arbeiten hat oder gerade wichtige Dinge anstehen hat, müsse einfach nur Bescheid sagen und könne zuhause bleiben. Die Mitarbeiter gingen damit verantwortungsvoll um, sagt Philip: „Wenn die Leute behandelt werden wie Erwachsene, benehmen sie sich auch wie Erwachsene.“

Eine Kollegin habe zum Beispiel gerade zwei Monate Urlaub in Thailand gemacht. Sie habe trotzdem von dort aus alle zwei, drei Tage mal ein paar Stunden gearbeitet. Danach habe sie sich wieder an den Strand gelegt. Ob man so wohl effektiv mehr oder weniger Urlaub macht, als wenn die Urlaubstage vorab klar festgelegt sind? Die Einhorn-Gründer glauben: Ein Experiment ist es auf jeden Fall wert.

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